Konzept

Mitte in der Pampa

Das langjährige Projekt Kunst im Untergrund der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) geht in die nächste Runde: Unter dem Titel »Mitte in der Pampa« wurde der international offene Kunstwettbewerb erneut ausgeschrieben. Ab September 2016 bis Ende 2017 werden ortsbezogene künstlerische Arbeiten im Bereich der U‐Bahnlinien 5 und 55 realisiert. Die ausgewählten Projekte sowie ein vielfältiges Begleitprogramm finden an verschiedenen öffentlichen Orten statt.

AG Kunst im Untergrund

Das aktuelle kuratorische Team setzt sich zum Ziel, neue Projektformate zu fördern. Zudem wurde es seit 2014 erstmals möglich, neben U‐Bahnen und -Bahnhöfen nun auch im direkten Einzugsgebiet des Verkehrsträgers Arbeiten realisieren zu können.

Kunst im Untergrund 2016/17 thematisiert die ästhetischen, stadträumlichen und gesellschaftspolitischen Verhältnisse zwischen Zentrum und Peripherie in Berlin und die damit verknüpften urbanistischen, kulturellen und ökonomischen Entwicklungen: Wie werden in der ‚Mitte’ Entscheidungen gefällt, die sich in der ‚Pampa’ auswirken und die die Potentiale des Eigensinns der ‚Pampa’ darstellen. Hauptaustragungsort des Wettbewerbs »Mitte in der Pampa« ist – wie bereits im vorangegangenen Wettbewerb 2014/15 mit der Frage »Was ist Draußen?« – der Stadtteil Berlin‐Hellersdorf.

Die Linien U5 und U55

Die Linie U5 führt derzeit vom Alexanderplatz unterirdisch entlang der Karl‐Marx‐Allee durch die von Aufwertungs‐ und Verdrängungsprozessen betroffenen Berliner Bezirke Friedrichshain und Lichtenberg; oberirdisch durch das Einfamilienhausgebiet Biesdorf, weiter durch die zwischen 1977 und 1990 errichteten Plattenbausiedlungen in Kaulsdorf‐Nord und Hellersdorf bis zum großen Stadtentwicklungsgebiet der Internationalen Gartenausstellung Berlin 2017 (IGA Berlin 2017) und endet an der Stadtgrenze.

Im Bau befindlich ist die Verlängerung der Linie U5 vom Alexanderplatz bis zum Hauptbahnhof: die drei schon in Betrieb genommenen U‐Bahnhöfe Hauptbahnhof, Bundestag und Brandenburger Tor, derzeit als Linie U55, sowie drei Baustellen der U‐Bahnhöfe Unter den Linden, Museumsinsel und Rotes Rathaus.

Situation

Die Linie U5 verbindet aktuell zwei Großprojekte: die U5‐Verlängerung in der ehemals historischen Mitte Berlins sowie das Stadtentwicklungsprojekt IGA Berlin 2017 im Außenbezirk Marzahn‐Hellersdorf. Von April bis Oktober 2017 wird die U5 Zubringer für geschätzte 2,4 Millionen Besucher_innen der IGA Berlin 2017.

Beide Vorhaben sind begleitet von offizieller sowie selbstinitiierter Bürgerbeteiligung und haben erhebliche Auswirkungen auf ihr jeweiliges Umfeld. Im Bezirk Mitte stimmte die Mehrheit bei einem Bürgerbeteiligungsverfahren zur Neugestaltung der großen Fläche oberhalb des U‐Bahnhofs Rotes Rathaus für einen Erhalt des Grünzugs und gegen eine Bebauung. In Hellersdorf protestieren Anwohner_innen gegen die Bebauung des Naturschutzgebiets Kienberg für die IGA Berlin 2017.

»Place Internationale« am U‐Bahnhof Cottbusser Platz

Zentrales Aktionsfeld des Kunstwettbewerbs ist die weitläufige, von Anwohner_innen durchquerte Grünfläche zwischen U‐Bahnhof Cottbusser Platz, Carola‐Neher‐ und Maxie‐Wander‐Straße. Nun werden hier in zeitlicher und räumlicher Nähe der IGA Berlin 2017 die Begriffe ‚International’, ‚Garten’ und ‚Ausstellung’ aus unterschiedlichen Perspektiven erkundet.

Hellersdorf ist geprägt durch Menschen unterschiedlicher Herkunft: Neben einer steigenden Anzahl von Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchteten wohnen im Viertel viele ‚Russlanddeutsche’. Im Zuge des Bundeswahlkampfs 2013 instrumentalisierte die NPD Nachbarschaft und Medien gegen die neu eröffnete Gemeinschaftsunterkunft in der Nähe des U‐Bahnhof Cottbusser Platz.
Die Umgebung bilden DDR‐Plattenbauten, der Regina‐Hildebrandt‐Park, eine Sporthalle, das Jugendzentrum U5 und eine Neubausiedlung. Tatsächlich war der Bezirksteil in den 1980er Jahren als Gartenstadt geplant worden. Heute gibt es wildes Gestrüpp und neu Gepflanztes, einen Bolzplatz und zahlreiche Trampelpfade. Hier erinnert eine Aluminiuminstallation daran, dass bei Ausgrabungen der Siedlungsursprung von Hellersdorf gefunden wurde: Vergangenheit, Gegenwart und künftiges Hellersdorf schieben sich ineinander.

Die Grünfläche wird nun zum Ort des Austausches für Anwohner_innen und neue Öffentlichkeiten. Durch die Realisierung von prozesshaften künstlerischen Arbeiten sowie einem ‚Garten ohne Grenzen’ sollen Formen lokaler Aneignungspraxen und direkter Kommunikation befördert werden.

»Place Internationale« wird mit einer künstlerischen Rekonstruktion einer Siegessäule markiert. Sie erinnert an Napoleons Siegessäule, die am 16. Mai 1871 auf dem Pariser Platz Vendôme durch die Kommunarden gestürzte wurde. Der Maler Gustave Courbet hatte den Denkmalsturz während der aufständischen Zeit der Pariser Commune maßgeblich initiiert. Er kritisierte politisch wie ästhetisch das Napoleons Eroberungsfeldzügen zugedachte Monument. Courbet ließ über den Rückbau demokratisch abstimmen und den Platz vor dem Sturz sogar mit Stroh und Mist auslegen. Daraufhin wurde der Platz feierlich in ‚Place Internationale’ umgetauft: Paris erlebte eine Revolution der Stadt.

In Hellersdorf wird die künstlerisch rekonstruierte Siegessäule nun zum zentralen Ort für Vermittlungsprojekte zu »Mitte in der Pampa« – in Zusammenarbeit mit lokalen Partner_innen. Workshops mit jungen Menschen aus der benachbarten Gemeinschaftsunterkunft und dem Jugendclub U5 gehen den Auswirkungen von politischen Symbolen und Identitäten nach. Sie werfen Fragen zu den Beziehungen von Architektur und Kunst, zu Staat und Recht, Individuum und Gemeinschaft auf. Zu den Veranstaltungen von »Mitte in der Pampa« wird die Säule aufgerichtet und gestürzt.

Projektzentrale station urbaner kulturen

Seit 2014 betreibt die Arbeitsgruppe Kunst im Untergrund eine Projektzentrale in Hellersdorf, bis 2016 am Cecilienplatz 5 (U5 Kaulsdorf‐Nord), seit 2017 am  Auerbacher Ring 41 (U5 Cottbusser Platz), nah am »Place Internationale«: die station urbaner kulturen. Sie ist zur Anlaufstelle für Anwohner_innen, Initiativen und Künstler_innen geworden und wird als Vermittlungsangebot für den Kiez und als Impuls für engagierte Bürger_innen ‚draußen’ genutzt. Sie ist Homebase, Adresse, Treffpunkt und Standort für Debatten und Präsentationen, Archiv, Pflanzenlager für Gärtner_innen und Produktionsatelier.

AG Kunst im Untergrund (2016/17)

Verweis: Publikation »Was ist draußen?«, 2015. Von Jochen Becker, Anna‐Maria Gogonjan, Eva Hertzsch, Uwe Jonas, Folke Köbberling, Andromachi Marinou‐Strohm, Dejan Markovic, Adam Page, Birgit Schlieps. Hrg. nGbK

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